„Meine vegane Ernährung hätte mich fast getötet“ Oder: Veganismus und Esstörungen.


„Meine vegane Ernährung hätte mich fast getötet“, lautet die Schlagzeile folgenden Artikels, der die Erfahrungen der Bloggerin Jordan Younger mit der veganen Ernährung kurz versucht in Worte zu fassen.
So heißt es dort u.a.: „After switching over to a plant-based diet, her problems of bloating and stomach issues seemed to be cured. However, she quickly found herself adding more and more restrictions to her diet until she hardly ate any solid foods at all. Ultimately, this led a devastating cycle of cleansing that had terrible effects on her body.

Zu deutsch: „Nachdem sie zu einer pflanzlichen Ernährung überging, schienen ihre Magenprobleme sowie Blähungen geheilt. Doch bereits nach kurzer Zeit ertappte sie sich selbst dabei wie sie immer mehr und mehr Einschränkungen in ihre Ernährung einfließen ließ, bis sie kaum noch feste Nahrung zu sich nahm. Letztlich führte das zu einem Teufelskreis des Reinigens, der schlimme Folgen für ihren Körper mit sich zog.“

Kurzum, Jordan begann sich immer mehr zu verbieten, um sich möglichst gesund zu ernähren. Und das resultierte schlussendlich in einer Obzession, die sie wie folgt beschreibt: “Come spring of 2014, there was no hiding it. I was not the picture of health I claimed to be. I couldn’t sleep because I was so full of anxiety about what I was going to eat the next day and what foods I had to avoid,” she stated. “My hair was thinning, my skin was a mess (and orange from too much beta-carotene), and my face was gaunter than gaunt. I looked and felt like a shadow of my former self.”

Zu deutsch: „Letztes Frühjahr 2014 konnte ich es nicht mehr verbergen. Ich war nicht die Verkörperung von gesundheit, das ich behauptete zu sein. Ich konnte nicht schlafen, weil ich solch eine Angst hatte was ich am nächsten Tag essen würde und welche Nahrungsmittel ich nicht essen durfte (…) Mein Haar wurde immer dünner, meine Haut sah furchtbar aus (und war Orange von zu viel Beta-Karotin), und mein Gesicht war hagerer als hager. Ich sah aus und fühlte mich wie ein Schatten meines alten Ichs.“

Wenn man sich das so durchliest, dann sind das typische Gedanken, die eine Esstörung charakterisieren.
Da macht der Artikel auch kein Geheimnis draus, dass es sich bei Jordan Youngers Schilderungen um die eines gestörten Essverhaltens handelt. Genauer geht es hier um eine Esstörung namens Orthorexia nervosa. So wird damit eine Essstörung beschrieben, bei der sich die Betroffenen so gesund wie möglich ernähren möchten. So schilderte Jordan auch, dass sie wochenlang nur noch 800 Kalorien zu sich nahm und 10 bis 30 Tage nur noch Saftfasten betrieb.
breaking vegan
Der gesamte Artikel und auch ihr Buch, das sie jetzt veröffentlich hat, wäre mit Sicherheit eine hilfreiche Sache, wenn da nicht der unglückliche Titel „Breaking Vegan“ wäre. Denn dieser Titel assoziiert Schuld an ihrer Essstörung sei die vegane Ernährung gewesen, nicht aber ihr gestörter Bezug zu Essen an sich.
So beschreibt sie ihren Entschluss von der veganen Ernährung Abstand zu nehmen wie folgt: “I dropped the vegan label shortly after I came to terms with my eating disorder, and that was one of the best things I could have done for myself,” she stated. “Now, I live a label-free life, and I find more power in that than I ever found in my plant-based fanaticism.”

Übersetzt: „Ich habe dem Vegan-Label entsagt, kurz nachdem ich mir eingestanden habe eine Essstörung zu haben. Und das war eines der besten Dinge, die ich für mich tun konnte. (…) Jetzt lebe ich ein Label-freies Leben und ich finde darin mehr Kraft als ich je in meinem pflanzenbasierten Fanatismus gefunden habe.“

Wie gesagt, der Titel „Breaking Vegan“ ist unglücklich gewählt. Und da ist es ehrlich gesagt auch nur verständlich, dass man sich als Veganer da angegriffen fühlt und sich denkt: Wieder so ein Artikel/Buch, der zeigen will, dass Veganismus schlecht, ungesund, umweltschädlich oder was auch immer ist.
Ganz ehrlich, ich betrachte die Mehrzahl dieser Artikel als grundsätzlich lächerlich (und das aus verschiedenen Gründen). Nichts desto trotz halte ich das Thema Essstörungen für eine wichtige Sache.

Dass Jordan nach dem Eingeständnis eine Essstörung zu haben Abstand zu ihren alten Essgewohnheiten sucht, ist nur verständlich. Denn diese können mitunter einen sogenannten „Trigger“(Auslöser) darstellen. So kann dann beispielsweise die Beschäftigung mit mögichst gesunder Ernährung wieder zu einem übertriebenen Verbot bestimmter Nahrungsmittel führen.
Veganismus kann hierbei auch ein Label sein. So ist man als Veganer, eben derjenige, der sich rein pflanzlich ernährt. Vielleicht auch derjenige, der sich besonders gesund ernährt. Nur Grünzeug, das muss ja gesund sein.

Ganz ehrlich, nur weil man sich vegan ernährt, bedeutet das noch lange nicht, dass man sich automatisch gesund ernährt. Doch das ist wieder ein anderes Thema…

Essen wieder zu lernen ist nicht leicht. Zu lernen, dass Essen kein Feind ist, dass man diese oder jene Lebensmittel essen, ja, sich erlauben darf. Dass man auch mal satt sein darf. Dass die Welt nicht untergeht, wenn man vielleicht mal keinen Sport oder nicht dieses oder jenes Ritual befolgt hat. Und dass es auch noch andere Dinge im Leben gibt als Essen, das sind alles Dinge, die man nicht mal eben von heute auf morgen wieder erlernt.
Der Weg raus aus einer Essstörung ist ein harter Weg. Und es kann selbst Jahre später noch sein, dass gewisse Dinge einen „triggern“ und somit alte Verhaltensmuster wieder zu Tage kommen lassen.

Nichts desto trotz muss man an dieser Stelle differenzieren. Und zwar zwischen veganer Ernährung und gestörtem Essverhalten.
Was die Bloggerin hier gesundheitlich gefährdet hat und was sie z.B. in diesem Video selbst beschreibt, war eindeutig ein gestörter Bezug zu Essen:

Sich vegan zu ernähren bedeutet nicht, sich die Nahrungsaufnahme zu verbieten, nur noch ein bestimmtes Kalorienkontingent zu sich zu nehmen.
Was für andere Ernährungsweisen gilt, gilt auch für eine vegane Ernährung: Man sollte sich satt essen und sich nichts verbieten. Essen sollte Spaß machen und ein Genuss sein. Davon abgesehen ist Essen wichtig, denn es liefert uns Energie und versorgt unseren Körper mit wichtigen Nährstoffen, die uns gesund halten.

Ich persönlich bin kein Fan von Diäten. Egal ob Diät-Shakes, die ganze Mahlzeiten ersetzen sollen. Oder Kalorienrestriktion, bei dem ganz stolz verkündet wird, dass man am Morgen nur eine Scheibe Knäckebrot mit kalorienarmem Belag zu sich genommen hat. 200 Kalorien, die bis zum Mittag reichen sollen.

Zurück zu Jordan Younger: Bestimmte Ernährungsformen und das vermehrte Beschäftigen mit Essen können in einer Essstörung resultieren. Das kann mit einer veganen Ernährung, mit Paleo, doch auch mit einer Mischkosternährung passieren. Essen kann generell zu einer Obzession werden. Der ganze Tagesablauf dreht sich nur noch ums Essen, um Zahlen, Kalorien, Gewicht, Sport, was erlaubt ist und was nicht usw.
Zumindest was die am meisten bekannten Essstörungen wie Magersucht und Bulimie angeht. Eine weitere Form wäre dann noch Binge-eating, bei denen die Betroffenen bei Heißhungeranfällen große Mengen an Nahrung zu sich nehmen und, anders als bei Bulimie, nicht erbrechen, sondern das Essen bei sich behalten, was langfristig zu Übergewicht führt.

Das was Jordan Younger widerfahren ist, ist bedauerlich. Und keinem zu wünschen.
Nichts desto trotz, aus eigener Erfahrung mit Essstörungen , muss ich sagen, dass mir die vegane Ernährung gut tut. So weiß ich einfach, dass das was ich meinem Körper zuführe größtenteils gesund ist und ich daher kein schlechtes Gewissen haben muss.
Ich esse gerne Süßes, trinke mal eine Cola oder ein RedBull und esse so viel bis ich einfach satt bin. Und zusätzlich macht es mir Spaß mich mit dem Thema Ernährung allgemein zu beschäftigen und mir Wissen anzueigenen. Und das ganz ohne, dass ich dadurch wieder in ein gestörtes oder gar obzessives Essverhalten verfalle.

Im Gegenteil. Bei veganer Ernährung geht es darum sich nichts zu verbieten, zu genießen und sich satt zu essen. Zumindest mir hat Essen noch nie so viel Spaß gemacht wie heute.

Es geht also auch anders. Von daher denke ich, dass eine vegane Ernährung einem bei einem gestörten Essverhalten auch zeigen kann wie es anders geht und wie man zu einem gesunden Essverhalten zurück finden kann.

15 Kommentare zu „„Meine vegane Ernährung hätte mich fast getötet“ Oder: Veganismus und Esstörungen.

    1. Man muss hier wirklich zwischen veganer Ernährung und gestörtem Essveralten unterscheiden.
      Ja, der Titel ist wirklich unglücklich gewählt. Denn der sagt mehr oder weniger, dass vegane Ernährung ein essgestörtes Dogma sei.

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  1. Ich kann Dir nur voll und ganz zustimmen, auch für mich hat die vegane Lebensweise nichts mit der Essstörung zu tun. Ich kann mir vorstellen, dass der Verlag sich denkt, dass das Buch sich mit so einem Titel besser verkauft, da die vegane Lebensweise Thema ist, schade. Jede Art von Übertreibung/Extremen in jedem Bereich kann unerwünschte Folgen haben, die gesunde Mitte ist immer anzustreben, meine Meinung ( auch wenn ich manchmal übers Ziel hinaus schieße).
    Liebe Grüße Marlies

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    1. Jordan hatte ja urspünglich ihren Blog wegen der veganen Ernährung gestartet und hatte schlussendlich ca. 70.000 Follower.
      Gerade unter solchen Gesichtspunkten kann ich da nur mit dem Kopf schütteln, wenn man sich dann zu so einem Buchtitel hinreißen lässt.

      Was Ernährung angeht finde ich, dass man sich nichts verbieten sollte. Da gibt es ja zahlreiche Hypes von wegen Getreide oder Soja seien schlecht zum Beispiel. Von daher ist die goldene Mitte da ein gutes Stichwort ;).

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      1. Sehr schade, wenn so etwas dann entgleitet und in einer Sucht endet, und das kann in vielen Bereichen passieren. Ich selber bin auch Suchtkrank aber seit 26 Jahren „clean“, trotzdem heißt es auch heute noch für mich, keine Übertreibung, was mir sehr gut bekommt. (d.h. das ich das perfekt beherrsche, oh nein!) auch Achtsamkeit ist da ein weiteres gutes Stichwort. Was brauchen wir 70.000 Follower, wichtig ist, dass es UNS gut geht, und wir uns wohl fühlen, bei dem, was wir tun.
        Liebe Grüße Marlies

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      2. Da stimme ich dir zu, im Endeffekt kann alles süchtig machen. Und man sollte auf sich achten.
        Was ich jedoch für fragwürdig halte ist, wenn man eine große Gruppe an Menschen erreicht und damit etwas Positives bezwecken könnte (z.B. über die Hintergründe der Fleischindustrie informieren usw.) schlussendlich für seine „Geschichte“ einen Buchtitel wählt, der das alles als Gesamtes negativiert.
        Und das wohl leider primär um Verkaufszahlen anzukurbeln, was wiederum nur dem veröffentlichen Verlag und der Bloggerin selbst finanziell von Nutzen ist.

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  2. Hi, ich finde es toll, dass du dich mit diesem Thema beschäftigt. Hab erst vor kurzem zum Ersten Mal von diesem Buch gehört. Den Buchtitel und das Buch an sich finde ich so blödsinnig: Wer nur Säfte trinkt, viel zu wenig Kalorien zu sich nimmt und an solchen Essstörungen leidet, kann das doch nicht auf die vegane Ernährung schieben. Genau durch solche Leute entstehen die ganzen Vorurteile zum Veganismus bezüglich Mangelerscheinungen etc. ^^ Könnte mich da noch weiter aufregen, aber du hast das alles schon so schön aufgeschrieben und erklärt 😀

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      1. Hallo Cordula!

        Ich finde das auch nicht gut, dass immer so reißerische Titel verwendet werden, die manchmal noch nicht einmal so viel mit dem Inhalt zu tun haben. Ärgert mich sogar manchmal richtiggehend.

        Alles nur um den Verkauf anzutreiben.

        lg
        Maria

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