Über Vorurteile, oder: Die Meinung der anderen…


„Pass bloß auf, dass du nicht irgendwann in der Männerabteilung eines Sportgeschäfts zu finden sein wirst.“
„Als Frau Bodybuilding zu betreiben… Da sieht man ja dann irgendwann aus wie ein Mann.“
„Das gefällt dir? Aber wie sehen Tätowierungen dann erst aus, wenn du mal alt bist?“
„Das geht doch nie wieder weg. Ohjemine.“

Ich glaube jeder von uns hat mal solche Aussagen zu hören bekommen.
Alles ein Ausdruck der Meinungen anderer. Was ja an sich nichts Schlechtes ist. Jeder soll seine Ansichten haben und diese auch vertreten. Durch einen Austausch unterschiedlicher Ansichten eignet man sich meist sogar zusätzliches Wissen an, beginnt so manche Dinge besser zu verstehen und ja, vielleicht auch durch die Augen eines anderen zu betrachten. Der berühmtberüchtigte Perspektivwechsel sozusagen.
Nichts desto trotz, manchmal kann es durchaus sinnvoll sein sich von der Meinung anderer zu distanzieren. Denn meistens haben die Ansichten anderer relativ wenig, manchmal auch gar nichts, mit einem selbst zu tun. Sondern sind vielmehr ein Ausdruck der inneren Empfindungen des Verurteilenden.
Sicher, Vorurteile können verunsichern. Sie können sogar bewirken, dass wir uns selbst zu hinterfragen beginnen. Ob die Entscheidungen, die wir getroffen haben denn wirklich die richtigen sind. Ob es nicht vielleicht besser wäre anders zu handeln, oder so manches vielleicht sogar sein zu lassen. Und das vielleicht obwohl wir eigentlich, ganz ohne diese Negativäußerungen, mit uns und unseren Entscheidungen ziemlich glücklich sind.

Ich für meinen Teil bin tätowiert, weil mir das gefällt. Und ich betreibe Bodybuilding, weil ich das schön finde.
Dabei wird es immer wieder Menschen geben, die uns sagen werden wollen was denn das Richtige wäre. Ihrer Ansicht nach. Doch mein Weg ist dabei vielleicht nicht der eines anderen. Und ein anderer muss auch nicht verstehen was ich an gewissen Dingen schön finde. Akzeptanz jedoch, ja, das wäre durchaus wünschenswert. Zu akzeptieren, dass ein anderer andere Dinge schön findet als man selbst. Und dass das auch vollkommen okay ist.
Ja, das wäre schon sehr erleichternd.

Vielleicht, wenn man Glück hat, findet man auf seinem Weg dann auch Menschen, die einen genau deshalb schätzen. Die einen genau deswegen schön finden. Die einem nicht negativ reinreden, sondern gerne mehr darüber erfahren wollen was einen so an gewissen Dingen fasziniert. Die aufmerksam zuhören, und einem Austausch offen gegenüber stehen. Und nicht urteilen oder verurteilen. Die einen einfach so annehmen wie man ist.

Ein Erlebnis ist mir in Bezug auf Stereotype und Vorurteile noch heute im Gedächtnis geblieben.
Es war Sommer und ich lief die Straße entlang. Bekleidet in einem Tanktop, sodass meine Tätowierungen sichtbar waren. Und da kam mir dieses ältere Pärchen entgegen. Wir liefen an einander vorbei, da drehte sich der Mann, schätzungsweise Anfang 60 zu mir um, und beschimpfte mich. Ich sei asozial und eine Schande mich so mit Farbe zu besudeln, wie er es respektvoll ausdrückte. Ich würde bestimmt schmarotzen und von seinem hart verdienten Geld, das er in die Steuerkasse eingezahlt hat, leben.

Nun ja, dass ich einer festen Arbeit nachgehe, in meinem Beruf anderen Menschen helfe, ja, nebenbei studiere, und damit ebenso meine Steuern zahle wie er, das weiß dieser Herr natürlich bis heute nicht. Sah er doch nur mein ihm entgegen kommendes Abbild. Für ein paar Sekunden, vielleicht eine Minute.
So wird dieser Mensch mich nie wirklich kennen lernen. Wirklich, so wie ich tatsächlich bin.
Weil er nur auf die ihm sichtbare Fassade blickt, jedoch nicht mehr.

Stereotype nennen sich diese Konstrukte, die uns die Welt leichter erklärbar machen sollen.
Sogenannte Vorurteile. Die Betrachtung einer Seite einer Medaille, doch nicht des restlichen Ganzen.

Stereotype werden dabei in der Sozialpsychologie beispielsweise wie folgt definiert:

„vereinfachendes, verallgemeinerndes, stereotypes Urteil, [ungerechtfertigtes] Vorurteil über sich oder andere oder eine Sache; festes, klischeehaftes Bild“

Oder aber auch:

„Ein Stereotyp ist eine im Alltagswissen präsente Beschreibung von Personen oder Gruppen, die einprägsam und bildhaft ist und einen als typisch behaupteten Sachverhalt vereinfacht auf diese bezieht. Stereotype sind gleichzeitig relativ starre, überindividuell geltende beziehungsweise weit verbreitete Vorstellungsbilder.“ (Quelle: Wikipedia)

Mittels unserer Common-Sense-Psychologie oder auch Alltagswissen genannt, versuchen wir anhand dessen was wir über diese Welt gelernt haben, in dieser Orientierung zu finden.
Haben wir gelernt, dass Menschen mit Tätowierungen asozial sind, grundsätzlich arbeitslos, vielleicht sogar kriminell, und hinterfragen solche Glaubenssätze nicht, schauen nicht über den Tellerrand hinaus, werden wir diesen Glauben womöglich selbst übernehmen und für wahr halten.

Als Veganerin bekam ich diese Bildung von Stereotypen auch des Öfteren zu spüren. Manchmal nicht gerade freundlich, sondern sehr verurteilend. Am heftigsten war es, wenn manche es sogar ablehnten mich näher kennenlernen zu wollen, nur weil sie erfuhren, dass ich vegan lebte.
Denn ich könnte sie ja missionieren wollen. Oder zu der sogenannten extremen Sorte zählen.
Weil ja auch jeder, der vegan lebt grundsätzlich keine anderen Gesprächsthemen als Tierethikdokus und entsprechende Bücher kennt und überhaupt das Thema Tierquälerei überall zur Sprache bringen muss.

Als Vegetarierin waren die Reaktionen der anderen jedenfalls nie so extrem, wie als Veganerin.
Oftmals gespickt waren diese Vorurteile mit Aussagen wie: Veganer hielten sich grundsätzlich für etwas Besseres. Oder: Veganer müssen überall erwähnen, dass sie Veganer sind. Oder aber auch: Veganer seien Extremisten, oder nicht selten fiel in diesem Zusammenhang auch der Gebrauch des Wortes: Veganer seien Nazis.

Sich selbst zum Opfer zu machen, und Veganer, die eigentlich gegen jegliche Form von Tierleid sind mit Nationalsozialisten gleichzustellen, ein scheinbar logisches Gedankenkonstrukt in Zusammenhang mit eben solchen Stereotypen. Und Worte wie Gutmensch und Nazi im allgemeinen Sprachgebrauch gegen das vermeintlich negative Veganertum gesellschaftlich akzeptiert.

Vorurteile existieren nicht ohne Grund.

Es gibt immer solche, die diese bestätigen. Die tatsächlich jenen Behauptungen entsprechen. Somit haben sich gewisse Vorurteile mit der Zeit geformt.
Weil damals wirklich vorwiegend Kriminelle oder Seeleute tätowiert waren. In Japan beispielsweise gelten Tätowierte auch heute noch als Angehörige der Yakuza. Der sogenannten japansichen Mafia.

Heute wiederum hat sich dieses Bild gewandelt. Mittlerweile sind Tätowierungen gesellschaftlich anerkannter. Laut einer Umfrage zu Tätowierungen aus dem Jahr 2021 sind in der Altersgruppe von 25 bis 34 Jahren etwa 54 Prozent der Deutschen tätowiert.
Hauptgründe warum: Rund 32 Prozent haben sich für ihre Tattoos entschieden, weil sie sich an jemanden erinnern wollen und etwa 31 Prozent, möchten damit ihre Persönlichkeit unterstreichen.

Auch Muskeln bei Frauen sind heute kein Tabuthema mehr. Schließlich sind wir heute emanzipierter, und können damit auch in männerdominierten Sportarten bestehen. Wenn wir es denn wollen.
Nichts desto trotz erlebe ich immer wieder, wie es wir Frauen selbst sind, die uns noch immer an gewisse Stereotype ketten.
Durch Muskeln wird Frau zum Mann. Dann ist Frau nicht mehr attaktiv. Frau sollte schlank sein, zierlich, sich von einem Mann stets helfen und beschützen lassen.
Sicher, es ist schön, wenn ein Mann einem die schweren Kisten trägt, aber wieso darf ich diese als Frau nicht selbst tragen, wenn ich denn über die dafür nötige körperliche Kraft verfüge?
Muss ich mich absichtlich zurück nehmen, nur um kein Vorurteil zu bedienen? Oder wie es manche Frau mal zu mir sagte: „Ein gutes Vorbild für andere Frauen zu sein.“ Denn, würden Frauen ihre Sachen selbst tragen wollen, würden Männer generell nicht mehr ihre Hilfe anbieten.

Und auch wenn manche Vorbehalte vor Veganern haben und die Lebensweise vielleicht als extrem ansehen, weil Fleisch zu essen einfach eher der gängigen Normalität entspricht, so hat auch dies sich gewandelt und es finden sich immer mehr vegane Produkte in gängigen Supermarktregalen.
Selbst Fleischhersteller wie Rügenwald und Mühle haben den veganen Sektor als zukunftsträchtig für sich entdeckt und bieten heute vegane Fleischersatzprodukte an.

Insofern: Meinungen können sich auch ändern. Wenn man es denn zulässt und mal einen Blick hinter die Fassade wirft. Vielleicht auch mal interessiert Fragen stellt, statt zu verurteilen.

Warum wurdest du Veganer?
Was findest du an Tätowierungen schön?
Was magst du an Bodybuilding?

Einfach mal Interesse mitbringen und sehen was passiert.

Die Welt wird gleich um so einiges bunter und vielseitiger, wenn man sie auch mal aus einer anderen Perspektive betrachtet. Und man wird kaum glauben wie bereichernd das auch für einen selbst sein kann. Ja, vielleicht nicht nur seinen Blickwinkel auf so manches zu verändern, sondern dabei zugleich seinen Horizont mit neuem Wissen zu erweitern.

Frei von Vorurteilen ist niemand von uns.
Aber wir können daran arbeiten diese selbst an uns zu erkennen, und dagegen zu steuern.

Oder was denkst du?

Ein Kommentar zu „Über Vorurteile, oder: Die Meinung der anderen…

  1. Das ist schon unglaublich, was du da erlebt hast, besonders das mit dem älteren Ehepaar. Sowas von unverschämt! Die jungen Leute hier in Dänemark sind ganz viel tätowiert, Männer wie Frauen. Ich mag zu viele (körperdeckende) Tätowierungen nicht besonders, aber ich muss mir ja keine zulegen. Jeder, wie es ihm/ihr gefällt. Ja, das Frauen was gegen „männliche“ Frauen haben, ist merkwürdig. Ich hatte eine Kollegin, die mich zu männlich fand, weil ich selbständig bin und es nicht zulasse, dass man auf mir herumtrampelt. Komischerweise fanden Männer das gar nicht … 😉 … also die fanden mich nicht männlich …

    Ich habe ein Vorurteil, gegen dass ich jedesmal kämpfen muss, wenn mir die Ursache begegnet, nämlich Glatzen. Ich bin mit diesen ziemlich brutalen Neonazis aufgewachsen, wie hiessen die noch? Skinheads! Das hat mich geprägt, so dass ich instinktiv glatzköpfigen Männern aus dem Weg gehen möchte.

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